Das entspannt literarische Debüt KARAT von Karin Rey ist humorvoll, schlau und eine schöne Überraschung, die bitte nicht übersehen werden darf!
„‚Ich bin schwanger‘, sagte sie und war überrascht, wie bedeutsam so ein Satz sein konnte, obwohl er bloß aus Personalpronomen + Verb + Adjektiv bestand.“
Irgendwo im Nirgendwo der Schweizer Provinz gibt es einen Juwelierladen, dessen rasanter Werbeslogan „Schmuckes von Schmuckes“ auch nicht dafür sorgt, dass die Bevölkerung ihn gerne aufsucht – denn es heißt, dass Etna, die sich hier unter anderem um die Gravur von Eheringen kümmert, einen sechsten Sinn dafür hat, welche Paare zusammenbleiben und welche nicht. Und wie das so ist in Kleinstädten: Man macht Etna inzwischen für diverse Scheidungen verantwortlich.
Davon will Leo nichts wissen, denn er war vor vielen Jahren mit Etna zusammen – und ist darum wild entschlossen, die Ringe für den potenziell schönsten Tag seines Lebens bei ihr zu kaufen. So kommt es, dass seine Zukünftige die Dinger an einem scheinbar ganz normalen Dienstag abholen will. Was Svenja nicht ahnt: Dass sie sich kurz darauf auf dem Weg nach Basel befindet, weil Etna schwanger ist und nun einen Vater sucht. Wohlgemerkt nicht den Mann, der das Kind mit dem Arbeitstitel „Rolf“ gezeugt hat, denn bei dem handelt es sich um einen Vollpfosten. So ein Kind braucht doch einen Vater, zu dem es aufsehen kann! Und Etna? Die braucht vor allem Entlastung:
„Wie sollte sie als alleinerziehende Mutter weiter am Kampf für faires Gold arbeiten? Alleinerziehende hatten das höchste Armutsrisiko. Und Geldarmut hieß insbesondere Zeitarmut. Aber genau diese Zeit brauchte sie, um etwas zu bewirken.“
Karin Rey hat einen Roman geschrieben, wie man ihn nur selten findet. Ist KARAT kommerziell? Ich weiß es nicht. Ist KARAT wunderbar? Aber sowas von!
KARAT ist ein Roman, der sich gegen einfache Einordnungen sträubt, denn das ebenso vergnügliche wie barrierefrei literarische Debüt von Karin Rey ist sowohl der Roadtrip zweier Frauen, die dem „lauernden Konjunktiv“ der Kleinstadt entkommen wollen (dem beständigen: man sollte, man müsste, man könnte), eine Liebeserklärung an ihre beiden Figuren (die eine hinreißend verschrullt, aber lebenstauglich, die andere eher rational, aber trotzdem nicht in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen) – und dann geht es, wie der Titel schon verrät, auch noch um die Machenschaften im internationalen Goldgeschäft. Genauer gesagt: die oft menschenunwürdigen Bedingungen beim Abbau des „Edel“metalls, das in Europa als Symbol für Wohlstand und Liebe gilt, aber beispielsweise im Kongo giftigste Umweltverschmutzung und Ausbeutung in vielerlei Hinsicht bis hin zur Zwangsprostitution bedeutet.
Dagegen will Etna, die zu ähnlichen Ausbrücken neigt wie ihr namensgebender Vulkan, vorgehen – so wie auch Svenja eine Mission hat: Sie ist Neophytensammlerin, versucht also, etwas gegen aus der Ferne eingeschleppte Pflanzenarten zu tun, die heimische Kräuter und Blumen überwuchern und vernichten. Aber hat sie als Deutsche eigentlich etwas in der Schweiz verloren (oder zu suchen)?
Über all das schreibt Karin Rey so schwungvoll und zugewandt, dass es einfach eine Freude ich – und selbst, wenn sie beim titelgebenden Thema etwas ins Referieren gerät, habe ich dies nicht nur mit Interesse, sondern auch Vergnügen gelesen. Das liegt daran, dass ich ob des eigenwilligen Humors der Autorin immer wieder versucht war, in die Hände zu klatschen – wenn eine hochromantische Kennenlerngeschichte sofort widerlegt wird, wenn es gar nicht so einfach ist, einen Goldbarren loszuwerden (okay, das ist vor allem traurig und dramatisch, aber eine Szene, die man sich sofort in einem Wes-Anderson-Film vorstellen könnte) oder wenn sie eine dramatische Szene so auf den Punkt bringt:
„Die Verben schwängern, betrügen, rausschmeißen, beruhigen und warten, WARTEN! fielen in wilder Reihenfolge, manchmal richtig, manchmal falsch konjugiert.“
KARAT ist ein Roman, den man allen ans Herz legen möchte, die Lust haben, sich auf eine herrlich ungekämmte Geschichte einzulassen!
Man könnte noch einiges mehr erzählen über die auf 196 Seiten konzentrierte Geschichte, die es schafft, erstaunlich stringent komponiert zu sein und gleichzeitig einem Tohuwabohu zu gleichen: Schließlich geht es auch um Legasthenie und den bestorganisierten Haushalt der Stadt, um eine Biene und den bereits erwähnten Goldbarren (kein richtiger allerdings, weil nur ein Kilo schwer) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (angeblich) … und die Frage, ob man „Ja“ sagen sollte, wenn man eigentlich „Warum?“ fragen muss. Aber statt mehr zu verraten, möchte ich lieber den Erzählstil von Karin Rey feiern: Zum bereits erwähnten Humor gesellt sich, um hier auch endlich klassisches Feuilleton-Vokabular zu verwenden, eine „edgy coolness“, in der für mich ein versponnener Mariana-Leky-Vibe mitschwingt und vielleicht ein Hauch dessen, was SONNENHANG von Kathrin Weßling im Frühjahr so besonders gemacht hat.
Der Verlag rühmt das Buch im Werbetext als „engagiertes und zugleich schwereloses Debüt“, und treffender kann man diesen Leseschatz tatsächlich nicht beschreiben. „Normal ist bei dir wohl keine Option, was?“, fragt Florian (der erste potenzielle Vater) die Frau, die komplett unerwartet vor ihm steht – und wir? Können dankbar dafür sein!
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.
Karin Rey: KARAT. Atlantis, 2025.


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