Nach ihrem erfolgreichen Debüt MEIN LEBEN MIT MARTHA hat Martina Bergmann sich einige Jahre Zeit gelassen – und überrascht nun mit dem Roman über eine Buchhändlerin, die sich in den 1960er Jahren behaupten muss.

„Schon wieder eine Meinung. Seit sie beschlossen hatte, eine Buchhandlung zu betreiben, also sich selbstständig zu machen, war da nichts als Meinung um sie herum. Als sei sie auf einmal magnetisch aufgeladen. Frau, die eine Buchhandlung übernimmt. Meinungen frankiert direkt ins Gesicht.“

Der Traum von einer Buchhandlung ist verlockend, wenn man nie in Versuchung kommt, ihn zu erfüllen (dann ist das nämlich wahnsinnig viel Arbeit). Aber ein Ort voller Bücher ist wie geschaffen für Romane oder Filme: Wie hinreißend war Hugh Grant, als er in „Notting Hill“ in seiner Buchhandlung herumschnuffte, und dass am Ende von „E-Mail für Dich“ die Buchhandelskette von Tom Hanks den kleinen Laden von Meg Ryan platt macht, kann das Happyend trotzdem nicht verhindern.

Deutlich realistischer geht es zu in DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN von Martina Bergmann. Die Autorin – und Buchhändlerin – hat uns nach ihrem Debüt MEIN LEBEN MIT MARTHA, in dem sie liebenswert von ihrer Freundschaft zu einer älteren Dame mit Demenz erzählt, lange auf ein neues Buch warten lassen. Und da liegt es nun, etwas ganz anderes, zu gleichen Teilen hinreißend und … nun, nennen wir es: struppig.

Martina Bergmann entführt uns in DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN in eine längst vergangene, aber gar nicht so un-aktuelle Zeit …

Dabei wäre dies kein Adjektiv, mit dem man „Fräulein“ Amanda bezeichnen würde, die 1965 in der westfälischen Buchhandlung des Herrn Otto Angler arbeitet. Es ist eine Zeit, in der die Kundenkartei wie ein Schatz gehütet wird, auch vor Amanda; sie ist für die Romane zuständig, die zur Not auch moderner sein dürfen, aber bitte nie so, dass sie das ältere Publikum verschrecken. Die Hälfte des Geschäfts ist der Kunst gewidmet, da sich die Fabrikanten der Region lieber etwas an die Wand hängen, als ein Regal zu füllen. Und Amandas Kollege, der mal patente, mal sehr in seiner Zeit verankerte Horst Brüsemeier? Der blüht nur auf, wenn es um Autokarten geht. Zu Weihnachten, dies soll nicht unerwähnt bleiben, werden auch Gänse und Schinken ausgeliefert, nur von Geschichten kann der Mensch nicht leben … und der Buchhandel schon gar nicht.

Von der ersten Seite an macht Martina Bergmann klar: Dies ist keine moderne Geschichte, und das unterstreicht sie bemerkenswert durch ihren ebensolchen Erzählstil – hier mischt sich westfälische Umgangssprache mit einer Grundhaltung, wie man sie selten in Unterhaltungsromanen findet. Wir sind daran gewöhnt, dass die Erzählenden sich uns entgegenlehnen, uns gefällig in ihre Geschichten ziehen wollen. Der Bergmann-Sound klingt anders, eher zurückgelehnt, hin und wieder mit der Hand in der Luft fuchtelnd; die Autorin lädt uns ein, näher zu kommen, zeigt aber nur bedingtes Interesse, uns zu zeigen, was wir sehen wollen.

Dürfen wir das, was wir uns heute wünschen, im Jahr 1965 erwarten?

Ein Beispiel dafür ist Gisbert, der sich schon durch seinen Namen nicht als typischer Love-Interest für Amanda empfiehlt. Er ist räumlich wie geistig abwesend, mag neben ihren schönen Beinen auch ihre Meinungen, macht aber deutlich, dass er sich nur für den Teil ihres Alltags interessiert, der oberhalb der von ihm eingeführten Heidi-Kabel-Grenze stattfindet; was nicht unterhaltsam ist, damit möge Amanda ihn nicht behelligen. Aber damit kommt sie gut zurecht, so wie Amanda bei aller Unangepasstheit – zu denen in der Provinz auch die Ehelosigkeit trotz Gisbert-Option zählt – ein Kind ihrer Zeit ist und vieles hinnimmt:

„Von einem Fräulein im Buchhandel erwartete man eine fundierte Meinung zu den Lesewaren. Über den jeweiligen Romaninhalt hinaus wurde Amanda öffentlich nicht gehört, und das war ihr angenehm. Störte es sie, dass jeder noch so unbeholfene Hilfsschüler am Stammtisch lauter sprach als eine Frau mit Bildung? Meistens nicht.“

Aber nun soll sich etwas ändern: Nach dem Tod ihres Chefs könnte der Traum vom eigenen Buchladen für Amanda konkret werden. Beim nötigen Kapitel kann ihre Oma helfen – eine wunderbare Figur –, bei allem anderen wird’s schwierig. Denn Amanda hat nicht nur Feinde in der Nähe (Herr Rudolf, der Inhaber von Zigaretten Kurt, der gerne tratscht), sondern auch einen in der Ferne, der nun wieder auf Nähe setzt: Jürgen Lindheim, mit dem Amanda in der Berufsschule war. Zwischen den beiden ist etwas vorgefallen (oder auch nicht), was ihn nicht davon abhält, anzuklopfen: Ob man wohl zusammenarbeiten könne? Ihr Talent für den Buchhandel, seins für das „moderne Management“ … für das Amanda allerdings einen trockenen Kommentar übrig hat: „Manager ist was für Jungs, die zu viel Auto fahren.“

In DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN treffen sich Vergangenheit und Gegenwart

Wird Amanda am Ende des Buchs ihren Traum – und damit den vieler Lesenden – erfüllen? Das verrate ich nicht. Aber gerne, dass DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN ein Vergnügen ist, wenn man einen Zugang zu ihm findet. Martina Bergmann erzählt, wie Buchhandel in den 1960ern funktionierte; die Autorin hat gut recherchiert, und wenn Amanda gegen „Experten fortgeschrittenen Alters“ schießt, deren Erfahrungsberichte sie als „Robinsonaden“ einordnet, ist das auch deswegen ein Vergnügen, weil man ahnt, mit wie viel Vergnügen Martina Bergmann dabei in die Tasten hämmerte.

Sie zeichnet nicht nur ein Bild von Amandas Leben, das sie geschickt durch das ihrer Freundin Henriette kontrastiert, die wenig Geld und viele Kinder hat, sondern stößt uns auch die Tür auf zu einer Zeit, die Lichtjahre entfernt zu sein scheint – aber vielleicht auch gar nicht so anders ist als die Welt, in der wir heute leben:

„1965 war besser als 1955 und sowieso besser als 1945, aber mehr auch nicht. […] Neben den eigentlichen Landleuten gab es seit 20 Jahren die Östlichen. Menschen mit fremden Namen und schwarzen Haaren. Amanda fand es albern, denn sie kannte so viele blonde Schlesier wie dunkelhaarige Westfalen. Alle, die älter als 30 Jahren, hatten eine Herkunftsgeschichte, zu der sie sich ständig äußerten. Landleute, Stadtleute, Arbeiter, Unterbäuerliche, Zugezogene, Heimatvertriebene, Ausgebombte, Flüchtlinge, jetzt auch politisch. Adlige und neuerdings die sogenannten Gastarbeiter. Alle über dreißig konnten darüber abendfüllend sprechen, ohne sich je in die Quere zu kommen. Man redete aufs angenehmste aneinander vorbei.“

Es gibt gute Gründe, den Roman von Martina Bergmann zu feiern – wenn auch nicht vollumfänglich …

Was man an DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN lieben kann, ist der trockene Humor, mit dem Martina Bergmann erzählt –

„Amanda kannte den Blick [ihres Chefs], die eine Augenbraue, die er anhob, wenn sie den Kunden Geschichten über Tucholsky und Walter Benjamin erzählte. Kafka war erlaubt, obwohl auch jüdisch. Aber der war sowieso schon eher gestorben, einfach an Tuberkulose.“

–, und wie sie ein ganzes Gesellschaftsbild in Randbemerkungen zusammenfasst:

„Sie sollten die Buchlaufkarten beschriften, denn so ein Fräulein hatte nun mal die feinere Handschrift. Aber die Titelauswahl oblag den Männern.“

Dem stellt sich Amanda entgegen, selbstbewusst, aber nur in dem Rahmen unangepasst, wie es Zeit und Ort erlauben – die Autorin erliegt nicht der Versuchung, ihre Protagonistin zur modernen Heldin zu stilisieren.

Obwohl Amanda ihr Haar mutmaßlich ordentlich trägt, habe ich sie als ungekämmten Charakter vor Augen, was auch daran liegt, dass Autorin und Verlag dem Roman die eingangs erwähnte Struppigkeit zugestehen: Vieles wiederholt sich, widersetzt sich einer ergebnisorientierten Dramaturgie, und diverse spannende Figuren bleiben nicht nur deswegen in der zweiten Reihe, weil sie dort auch im Leben ihrer Männer stehen.

Zugegeben: Ich hätte mir von DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN mehr Genre gewünscht, ein bisschen Zuckerguss, auch wenn dieser nicht rosarot sein muss. Und gleichzeitig bin ich froh, dass Martina Bergmann ihren Roman genau so geschrieben hat, wie er nun mit 255 Seiten zur Lektüre einlädt:

Steht man in einer Galerie vor einem Bild, das es nicht darauf anlegt, geliebt und einfach verstanden zu werden, kommentiert man dies oft mit einem unentschiedenen, aber anerkennenden „Hat was“. Meist sind das die Kunstwerke, denen man gerne noch einmal begegnet. Und das trifft auch auf diesen Roman zu.

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.

Martina Bergmann: DAS FRÄULEIN BUCHHÄNDLERIN. Eisele, 2025