Die Autorin Lara M. Gahlow wurde 2024 im Rahmen des Hamburger Literaturpreises ausgezeichnet – ist VORWIEGEND FESTKOCHEND also eine Erzählung, die vollumfänglichen Applaus verdient?
„Sie spürte am zügigen Gang, mit dem die Pflegerinnen durch ihr geräumiges Wohnzimmer schritten, dass Zeit noch knapper war als die Bezahlung für die geleitete Care-Arbeit – auch dieses Wort hatte der Fernseher Minna gelehrt, wenngleich sie es vermied, englische Worte laut auszusprechen. In ihrem Kopf sprach sie es aus wie Kehrarbeit.“
Sie sind ein ungewöhnliches Paar, was nicht nur daran liegt, dass sie gar keins sind, nicht einmal eine sogenannte Schicksalsgemeinschaft – es geht zunächst schließlich nur um das in diesem Fall nicht ganz klare Verhältnis von Angebot und Nachfrage: Minna, 92-jährige Seniorin, braucht Hilfe im Haushalt; Moni, Angestellte beim Pflegedienst „Freundliche Engel“, muss Geld verdienen. Und natürlich hat die junge Frau mit den vielen Tätowierungen eigentlich auch keine Zeit, mehr Worte mit ihrem Gegenüber zu wechseln als die 51, mal 79, die Minna gewohnt ist von alle den Claudias und Sabines, die zweimal in der Woche bei ihr klingeln, bevor sie kündigen oder die Dienstplanerstellerin eine neue, noch cleverere, weil zeitsparendere Einsatzroute ausgeklügelt hat.
Aber diesmal kommt es anders: Aus Worten, die der Abstimmung dienen, wird ein Gespräch, und dann noch eins, und auf einmal kocht Minna, und Moni sitzt regelmäßig an ihrem Tisch, nachdem sie sich vorher beim Einkaufszettel noch gefragt hat, was die alte Dame aus den nicht zusammenpassenden Zutaten zubereiten wird. Minna hat viele Erinnerungen und strenge Regeln, wie die ansonsten strukturlosen Tage in Form zu halten sind, Moni eine Traurigkeit in sich, die dadurch gelindert wird, dass sie Gedanken, die ihr wertvoll erscheinen, als Tattoos auf ihrem Körper festhält. A match made in heaven?
So finden zwei Menschen zusammen, ohne dass definiert werden könnte – oder müsste –, was sie füreinander sind. Und beide verschwenden keinen Gedanken daran, dass eine einzige von Herzen kommende Geste das alles beenden könnte …
Lara M. Gahlow will eine große Geschichte auf wenigen Seiten erzählen – kann das gutgehen?
Auf gerade einmal 57 augenfreundlich gesetzten Seiten (mit anhängenden Rezepten und Kartoffeldrucken) erzählt Lara M. Gahlow eine Geschichte, die vermutlich nicht den ersten Preis für Originalität verdient, aber so viele schöne und nachhallende Momente enthält, dass man sich einen ganzen Roman über die beiden Protagonistinnen wünscht (und versteht, warum der Text beim Hamburger Literaturpreis 2024 unter den ausgezeichneten war). Was uns dazu führt, dass ich bei dieser Zusammenfassung meiner Gedanken nachfolgend nicht ohne Spoiler auskomme; also bitte nur weiterlesen, wenn ihr das schmale Buch aus dem Ankerwechsel-Verlag schon kennt oder definitiv nicht lesen wollt.
Während ich beim Lesen wachsendes Vergnügen empfunden habe, da VORWIEGEND FESTKOCHEND zu gleichen Teilen anheimelnd und struppig ist (und noch dazu oft sehr schlau), hat das Ende mich irritiert und ausgesprochen unbefriedigt zurückgelassen. Dass die bereits erwähnte Pflegedienstleiterin noch ein Problem darstellen würde, konnte man sich denken; was dann der Auslöser ist, dass Monis Route geändert wird, hat einen bitteren Beigeschmack, der auch deswegen sehr gut gewählt ist, weil er sehr real sein dürfte.
Ende gut, alles gut? Bei VORWIEGEND FESTKOCHEND von Lara M. Gahlow ist es ein „sowohl als auch“ …
Leider ist das Ende dann vermutlich auch real (und entsprechend kaltschnäuzig): Moni sitzt beim Tätowierer ihres Vertrauens, um einen neuen, wertvollen Gedanken in ihre Haut stechen zu lassen, den sie von Minna hat – offensichtlich ohne die Absicht, die alte Frau noch einmal zu sehen, denn diese wird ohne Vorwarnung von einer neuen Pflegekraft überrascht. Und während für Moni das Leben weitergeht, bleibt für Minna nichts, als in ihrer Sofaecke zusammenzusinken. The End.
Möglicherweise ist das nicht so gemeint? Als Leser von geringem Verstand maße ich mir nicht an, zu verstehen, was die Autorin sich gedacht haben mag. Oder soll die Geschichte genauso enden: Die Zukunft gehört den Jungen, nicht den Alten, und Brecht lässt Peachum „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht, da habe ich eben leider recht“ darüber singen?
Vielleicht wird Moni, die Frischhaltefolie noch um den Arm, aber auch die drei Stockwerke in Minnas Haus nach oben stürmen, mit Puffreis im Rucksack, der diesmal nicht auf einem Einkaufszettel stand und Teil ihrer Jobbeschreibung ist. Erstaunlich: Ich wünsche es mir für diese beiden fiktiven Figuren so, als hätte ich sie intensiver kennengelernt als in diesem schmalen Band … und hätte mir, wenn es so gemeint ist oder gemeint sein könnte, eine klarere Leser*innenführung von Lara M. Gahlow gewünscht.
Aber: Das Leben und das Lesen sind kein Wunschkonzert. Umso mehr bleibe ich an dem hängen, was im Waschzettel, der dem Rezensionsexemplar beilag, über das Umschlagsgestaltung-Kollektiv zu lesen ist: „Crush Collective […] schaffen einen Raum für Female Empowermeint, Spaß und Zusammenhalt.“
Lesen oder lassen? LESEN! Aber vor allem auf das nächste Buch der Autorin freuen!
„Lara glaubt, dass das Leben die besten Geschichten bereit hält, wenn man nur genau hinschaut“, verrät der Klappentext des schön eingebundenen Leinenstrukturbands, der unter dem Schutzumschlag mit einer Prägung erfreut: „Und das hat sie vor.“ Das lässt hoffen, ganz egal, ob ich alter Harmoniesucher nun vom vorliegenden Text befriedigt werde oder nicht; ich freue mich auf alles, was wir von dieser Autorin noch erwarten dürfen.
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei meiner Rezension handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.
Laura M. Gahlow: VORWIEGEND FESTKOCHEND. Eine Erzählung. Ankerwechsel Verlag, 2025.
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