Wer war’s, wenn’s keinen Gärtner gibt? LAVENDER HOUSE von Lev AC Rosen ist ein klassischer Kriminalroman mit nicht ganz so klassischem Personal.
„Die Leute versuchen immer, einen zu vereinnahmen, ohne einem jemals zuzuhören, um zu verstehen, wer man wirklich ist. Sie wollen, dass wir uns verstellen, die Rolle ausfüllen, sie sie uns zugedacht haben. Aber in Wirklichkeit sind wir alle besser dran, wenn wir unsere eigenen Rollen finden.“
Wenn man keine Ahnung hat, empfiehlt es sich, den Mund zu halten – trotzdem möchte ich mich an eine Einordnung von LAVENDER HOUSE herantasten, dem ersten Roman in der Evander-Mills-Krimiserie des US-amerikanischen Autors Lev AC Rosen … für den ich möglicherweise nicht zur Zielgruppe gehöre.
Bevor sich inhaltliche Spoiler nicht vermeiden lassen, fangen wir mit der Verpackung an – und die ist wirklich spektakulär: Das Hardcover mit angesagter Soft-Touch-Veredlung, farbigem Vor- und Nachsatzpapier und einem auf den Einband abgestimmten Farbschnitt ist eine Granate, und das Buch liegt so wertig (und schwer!) in der Hand, dass die Herstellung Applaus verdient.
Aber hätte ich das Buch im Laden in die Hand genommen? Nein – denn das opulente Motiv, bei dem sich aus Blumen, Blütenblättern, geheimnisvollen Treppen und einem ebensolchen Tor ein Frauengesicht zusammensetzt, erinnert meiner Meinung nach an Romantic Suspense oder New Adult Romance, zwei Genre, mit denen ich wenig Berührungspunkte habe; neugierig gemacht hat mich dann der Hinweis, dass es sich um einen Whodunit in der Tradition von Agatha Christie handelt, noch dazu mit queeren Charakteren.
Worum geht’s in LAVENDER HOUSE von Lev AC Rosen?
Was uns nun zur Handlung (und potenziellen Spoilern) führt: Wir schreiben das Jahr 1952. Evander „Andy“ Mills, der bis vor wenigen Tagen noch für die Polizei von San Francisco gearbeitet hat, will seine Sorgen im Gin ertränken und danach sich selbst in der Bucht – denn er ist seinen Kollegen bei der Razzia in einer schwulen Bar in die Hände gefallen und sofort entlassen worden. Statt den Fischen sagt Andy aber erst einmal „Guten Tag“ zu Pearl Velez, die ihn um seine Hilfe bittet: Ihre Arbeitgeberin, die reiche Seifenfabrikantin Irene Lamontaine, ist tot in ihrer Bibliothek aufgefunden worden; ein Unfall, könnte man meinen, aber Pearl weiß nicht, ob sie das glauben darf. Zumal sie nicht nur die Privatsekretärin der Matriarchin war, sondern seit Jahrzehnten ihre heimliche Ehefrau. Gemeinsam haben sie Irenes Sohn aufgezogen, der inzwischen mit seinen Müttern, seinem eigenen Mann und seiner falschen Ehefrau nebst deren Geliebter im Lavender House lebt.
Der Selbstmord kann warten – stattdessen taucht Andy in eine Welt ein, wie er sie nie für möglich gehalten hätte; auf dem opulenten Herr(inn)ensitz sind die Blumenbeete üppig, die Mammutbäume hoch und das vom schwulen Butler servierte Essen lecker. Und vor allem: Für Andy ist es eine Offenbarung, wie frei die Bewohner von Lavender House hier, weit von der Stadt und neugierigen Blicken entfernt, ihre Gefühle zeigen und leben können. Mit dem bereits erwähnten Butler will er dann allerdings doch nicht schlafen; es gilt schließlich, den Mord an Mrs. Lamontaine aufzuklären – denn dass die nicht eines natürlichen Todes gestorben ist, steht schnell fest. Aber bedeutet dies, dass der Mörder oder die Mörderin im Lavender House lebt?
Reicht es, wenn ein Kriminalroman flüssig und leicht zu lesen ist?
Ich habe nie einen Krimi von Agatha Christie gelesen, aber diverse Verfilmungen gesehen, und was ich z.B. an den Thrillern von Mick Herron sehr mag ist, dass man sich nie auf etwas verlassen kann, was passiert – ein Red Herring, also ein Ablenkungsmanöver in Form einer falschen Verdächtigung, reiht sich an den anderen, und natürlich will man miträtseln, wie der Fall aufgelöst wird.
Dieses Vergnügen blieb mir bei LAVENDER HOUSE leider versagt – und wenn ich es mir richtig notiert habe, dauert es 140 (!) Seiten, bis die möglichen Motive der Tatverdächtigen zur Sprache kommen. Und ohne etwas vorweg zu nehmen: Ich hatte schon nach der Vorstellung der Beteiligten zwei Figuren im Verdacht. Eine davon war es dann auch, wenig überraschend … und zumindest in meiner Wahrnehmung an den Haaren herbeigezogen. Im Nachwort erwähnt der Autor, dass seine Lektorin versucht hat, ihm eine (beziehungsweise: die einzige) Ekelszene auszureden; man wünschte sich, sie hätte ihn ermuntert, auf mehr Spannung zu setzen!
Wenn LAVENDER HOUSE mich auf der Krimiebene wenig überzeugt hat, funktioniert das Buch dann als queere Geschichte? Für mich leider nein. Zum einen finde ich alle Figuren zwar von der Grundidee her gut gewählt, aber zu wenig entwickelt, sodass sie letztendlich Abziehbilder bleiben; noch dazu hat der Autor sein Personal vermutlich selbst ein bisschen zu lieb, sodass selbst die kühle „Unsympathin“ kurz vor Ende durch die Einrichtung ihres Schlafzimmers noch schnell in ein weicheres Licht getaucht wird. Und das Bedrohungsszenario durch eine homophobe Gesellschaft, in der Andy und die anderen immerzu auf der Hut sein müssen? Das erzählt mir leider nichts Neues; an dieser Stelle empfehle ich gerne die TV-Serie FELLOW TRAVELLERS, in der auch mit klassischen Versatzstücken gearbeitet wird, ich aber hier und da den Eindruck hatte: Okay, das habe ich noch nicht so oft gesehen. (Und zugegeben, neben Matt Bomer und Jonathan Bailey verblasst sowieso alles.)
Für welche Lesenden kann LAVENDER HOUSE von Lev AC Rosen ein Krimivergnügen sein?
Ich habe LAVENDER HOUSE (beziehungsweise die Übersetzung der Verlegerin des Second Chances Verlag, Jeannette Bauroth) durchaus gerne gelesen – dass ich trotz einer gewissen Langeweile durch die 311 Seiten geflogen bin, ist sicher auch als Qualitätsmerkmal zu werten. Was mich noch einmal dazu führt, dass ich einfach nicht der richtige Leser für das Buch bin: Eine junge und möglicherweise eher weibliche Zielgruppe, die ein Herz für queere Charaktere hat, die durch ihre geradlinige Zeichnung die Identifikation erleichtern, wird LAVENDER HOUSE sicher ins Herz schließen und, verführt durch die opulente Mogelpackungsoptik, ein neues Genre für sich entdecken; es sei auch erwähnt, dass der Krimi in Amerika für Preise nominiert war und auf zahlreichen Bestenlisten stand.
Würde ich den zweiten Fall für Evander „Andy“ Mills lesen wollen? Vielleicht. Und ich drücke dem mir sehr sympathischen Verlag die Daumen für entsprechend gute Verkäufe des ersten Romans – zumal eins fest steht: Auch ein schwuler Krimi sorgt für Sichtbarkeit, kann Vorurteile abbauen und die zeitlose Botschaft „Love is Love“ transportieren.
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern das Leseexemplar vom Verlag geschickt bekommen. Bei meiner Rezension handelt es sich nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder.
Lev AC Rosen: LAVENDER HOUSE. Aus dem Englischen von Jeanette Bauroth. Second Chances Verlag, 2025.
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