Preisgekrönt, hymnisch besprochen … und manchmal auch ein bisschen sexy: HUNDESOHN gehört zu den besonderen Romanen dieser Saison – Grund genug, dem Autor Ozan Zakariya Keskinkılıç drei Fragen zu seinem Werk zu stellen.
Wenige Bücher sind in diesem Herbst so begeistert besprochen worden wie HUNDESOHN von Ozan Zakariya Keskinkılıç, der noch dazu gerade mit dem Debütpreis von ASPEKTE ausgezeichnet wurde – auch wenn ich immer noch irritiert bin, dass der Roman allüberall als Liebesgeschichte gefeiert wird, denn ich habe die sprachlich herausragend schön erzählte Geschichte, in der Religion und Filzläuse, Grindr-Sexdates und der Duft von Salz und Orangen sich zu einem faszinierenden Leseerlebnis verweben, doch ganz anders verstanden. Wie immer gilt: Was weiß ich schon …
Umso mehr freue ich mich, dass der Autor sich die Zeit genommen hat, mir drei neugierige Fragen zu beantworten. (Und wer in dem Zusammenhang auch Interesse an meiner Rezension findet, der findet sie HIER.)
Lieber Zakariya, Dein Roman HUNDESOHN wird als große, sprachgewaltige Liebesgeschichte wahrgenommen – ich habe Zekos Gefühle für Hassan eher als Obsession empfunden. Ist das eine möglicherweise gar nicht möglich ohne das andere?
Ozan Zakariya Keskinkılıç: „Obsession trifft es gut. Zeko sucht Hassan überall in den Gesichtern anderer und verliert sich dabei selbst im Ringen nach der Liebe, die sich nicht erfüllt. Er verflucht Hassan genauso, wie er sich nach ihm verzehrt. Sein Geliebter ist eine Projektionsfläche, in dem sich ein Kampf abzeichnet, der weit größer ist als die Sehnsucht nach dem Nachbarsjungen im Viertel der Großeltern. Diese Obsession ist ein Ventil.
HUNDESOHN ist eine Geschichte, die zeigt, dass die Art und Weise, wie man liebt, eng verwoben ist mit so vielen anderen Strukturen, die auf das Begehren einwirken: Familie, Religion, Herkunft, Sprache, Klasse, Geschlecht, Sexualität, Politik und Geografie … Auf diese Erkundung nimmt uns Zeko mit, damit wir die Geschichten hinter den Geschichten erkennen.“
Ganz egal, ob der Großvater bewundert wird oder Hassan einen Hund tötet, ob Zeko Sex hat oder ein letztes Grindr-Date manche Lesende überraschen könnte: Dein Roman stellt die Frage, was das sein mag, „Männlichkeit“. Hast Du eine Antwort für uns?
Ozan Zakariya Keskinkılıç: „Wenn es eine Antwort geben sollte, muss sie im Plural liegen. Zeko steht für marginalisierte Männlichkeiten: Er ist muslimisch, er begehrt Männer, stammt aus einer Arbeiter*innenfamilie – und er blickt auf eine mehrfache Migrations- und Diskriminierungserfahrung, sucht seinen Platz als liebender, als begehrender Mann genauso wie als Gläubiger, als Sohn von Migrant:innen aus der Türkei, als Enkelkind arabischer Großeltern, als Freund und als Suchender, der Geschichten und Sprachen verwebt.
Auch wenn Zekos Fall sehr spezifisch ist, macht sie uns aufmerksam für eine grundsätzliche Notwendigkeit, die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu überblicken, die das Phänomen ‚Männlichkeiten‘ bedingen. Ich vermisse diese Komplexität in vielen einfachen Debatten, die Ambivalenzen glätten wollen oder Schnittstellen leicht übergehen. Das Stichwort muss lauten: Intersektionalität!“
Du bist Politikwissenschafter, Sachbuchautor, Lyriker: Was davon hat am stärksten dazu beigetragen, dass HUNDESOHN ein Roman ist, der sowohl für seine Sprache als auch seine Themen gefeiert wird?
Ozan Zakariya Keskinkılıç: „Ohne Gedichte würde es diesen Roman genauso wenig geben, wie ohne meine jahrelange wissenschaftliche Auseinandersetzung. Und trotzdem ist HUNDESOHN weder Langgedicht noch akademischer Fachbeitrag — und das ist gut so. Der Roman verknüpft die Ebenen auf eine andere Weise.
Mir gefällt die Vorstellung, dass Text- und Denkformen aufeinander wirken, sodass sie das Schreiben bereichern, wenn sie zusammengebracht werden, um einen neuen, einen dritten Zugang zu bieten. Das funktioniert auch andersherum: Diese literarische Erkundung wird gleichermaßen meine Forschung prägen, wie auch meine Lyrik. Nächstes Jahr erscheint mein zweiter Gedichtband im Elif Verlag, er knüpft an manches an, denkt Dinge um und sucht seinen eigenen Weg. Ich bin neugierig zu sehen, welchen Textkörper Sprachen, Themen und Gefühle bekommen, wie sie sich transformieren und was sie mit uns als Schreibende und Lesende machen.“
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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Bei diesem Interview, wie vorher schon bei meiner Rezension, handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Sie gibt lediglich meine subjektive und unbeeinflusste Meinung wieder beziehungsweise ist meiner Neugier geschuldet.
Ozan Zakariya Keskinkılıç: HUNDESOHN. Suhrkamp, 2025.


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