In ihrem Roman 6 AUS 49 erzählt Jacqueline Kornmüller autofiktional über ihre Großmutter, von der wir uns nach der Lektüre wünschen, einmal bei ihr zu Gast gewesen zu sein.
Wie nähert man sich Erinnerungen, von denen man ahnt, dass sie noch irgendwo schlummern? Für 6 AUS 49 hat sich die Regisseurin und Autorin Jacqueline Kornmüller auf Spurensuche begeben: Sie forscht in der Geschichte ihrer Großmutter, nähert sich ihr aus der Position des Kindes, das bei ihr im Bett schlafen darf, und der erwachsenen Frau, die eigene Erfahrungen gemacht hat, die sie – möglicherweise – auch durch die Brille sieht, die ihre Großmutter ihr mit auf den Weg gegeben hat. Und dabei sollte man natürlich nicht vergessen: Jacqueline Kornmüller hat einen Roman geschrieben, keine Biografie.
Als eine befreundete Buchhändlerin vor einigen Monaten zu mir sagte „Das musst du lesen, das ist eins dieser Bücher, in denen man aufs Herrlichste versinken kann“, fand ich das gerade aus ihrem Mund ein großes Kompliment – das ich Jacqueline Kornmüllers Romandebüt (nach einer zuvor veröffentlichten Erzählung) nun auch vollumfänglich machen kann.
Umso mehr freue ich mich, dass die Autorin nun Zeit gefunden hat, mir drei neugierige Fragen zu beantworten.
Liebe Jacqueline, nach Deiner Erzählung DAS HAUS VERLASSEN gibt es auch in Deinem Roman 6 AUS 49 wieder ein besonderes Haus, das fast wie eine Hauptfigur wirkt. Was reizt Dich an dieser Idee?
Jacqueline Kornmüller: „Häuser sind Erinnerungsträger und für meine Arbeit besonders wertvoll. Dabei interessieren mich weniger bekannte oder prominente Gebäude, es sind die unentdeckten Privathäuser, die mich faszinieren.
Im Falle von DAS HAUS VERLASSEN war es eine Immobilie, die ich selbst als Ruine erwarb, und nach seiner Belebung nach 12 Jahren wieder verlassen und verkaufen wollte. Beim Besuch der Immobilientouristen wehrte sich das Haus vehement gegen seine neuen Besitzer. Aufgrund meines Verkaufswunschs bekam es plötzlich eine Stimme und einen ganz eigenwilligen Charakter, es setzte sich zur Wehr.
Die Amalie in 6 AUS 49 hingegen ist das Haus meiner Kindheit, das ich mir durch das Schreiben wieder neu erschloss. Unglaublich was man alles entdeckt, wenn man die Schubladen eines alten, vergessenen Küchentischs öffnet: Requisiten, die viel erzählen über die Bewohner des Hauses. Immer tiefer grub ich mich in die Vergangenheitsecken meiner Familie ein, und sah sie bei der Gelegenheit auch in einem ganz neuen Licht.“
Du erzählst in 6 AUS 49 autofiktional über das Leben Deiner Großmutter. Wieviel Freiheiten hast Du Dir genommen?
Jacqueline Kornmüller: „Alle Freiheit. Meine Großmutter wurde 1911 geboren, ich 50 Jahre später, diese mir nur aus überlieferten Geschichten fünfzig Jahre galt es zu erzählen. Vieles hat seinen Grund in dem sagenhaften Charakter meiner Großmutter. Tatsächlich hatte sie dieses unerklärliche Glück im Spiel. Kaum zu glauben, aber tatsächlich tat sich das Glück nicht schwer, sie zu finden. Ich wollte das Unerklärliche erklären und herausfinden, warum sie so ein Glück hatte.
Naturgemäß ist die Erinnerung eine wunderbare Quelle, aber ist sie wirklich verlässlich? Die Erinnerung hat auch etwas Scheues, etwas Flüchtiges, etwas Zerbrechliches. Und natürlich gibt es gerade in Familien die unterschiedlichsten Erinnerungen, auch solche, die sich oft widersprechen. Aber im Widersprüchlichen liegen oft interessante Hinweise, die eine Geschichte wachsen lassen.“
Neben den vielen schönen Momenten, die 6 AUS 49 lange in der Erinnerung nachhallen lassen, gibt es auch Szenen, die eine dunklere Tonart anschlagen – das Schicksal der Jüdin Hedy, aber auch eine Gewalterfahrung der Erzählerin. Was hat Dich beim Schreiben mehr gefordert, das Helle oder das Dunkle?
Jacqueline Kornmüller: „Ich persönlich lese gerne Bücher, die beides in sich tragen, das Helle und das Dunkle, letztlich gehört beides untrennbar zusammen.
Ich wollte herausfinden in welchem gesellschaftlichen und auch politischen Klima meine Großmutter lebte, in einer für sie sehr entscheidenden und wichtigen Phase. Die Anfänge der 30er Jahre, da war sie grade Anfang 20, sind unserer Zeit gar nicht so unähnlich. Die Gesellschaft veränderte sich rasant, auch und gerade Garmisch-Partenkirchen, das von den Nazis zwangsvereint wurde, hat es hart getroffen. Die Schutzlosigkeit von Frauen muss immens gewesen sein. Und auch heute sehen wir uns mit Gewalt konfrontiert.
Die Figur von Lina zeichnet aus, dass sie sich trotz schwerer Schicksalsschläge immer wieder aus der Misere zieht. Immer wieder schafft sie es ins Helle. Auch eine Eigenschaft, die mich an ihr fasziniert.“
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Ich habe dieses Interview geführt, weit ich neugierig bin – es ist also Fanboy-tum, keine bezahlte oder beauftragte Werbung oder Kooperation, obwohl ich den Roman als Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten habe.
Jacqueline Kornmüller: 6 AUS 49. Galiani Berlin, 2025
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