Janine Adomeit hat mit DIE ERSTE STUNDE IM PARADIES einen Familien- und Geschwisterroman geschrieben, der ein entspanntes Lesevergnügen ist – und sich nun Zeit genommen für drei neugierige Fragen.

Eine perfekte Karriereplanung, zwei Geschwister, die sich sehr viele Jahre nicht gesehen haben und mehr als drei (Familien)Geheimnisse in der Vergangenheit: DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES hat mich begeistert, bewegt und sehr gut unterhalten. Und obwohl viel von dem, was im Roman passiert, wirklich dramatisch ist – denn es geht um die Krankheit einer Mutter, die nicht wahrhaben will, wie ihre Möglichkeiten immer begrenzter werden; um die Verletzungen, die sich Menschen zufügen, die sich eigentlich lieben; um die Dinge, die uns erstrebenswert erscheinen, weil wir nicht das bekommen haben, was wir uns am meisten wünschen –, hat Janine Adomeit ein Buch geschrieben, das man als Lesevergnügen bezeichnen darf … und das bei mir zu wohliger Grundentspannung geführt hat, obwohl es ziemlich spannend ist.

Umso neugieriger bin ich natürlich – und freue mich, dass die Autorin sich die Zeit genommen hat, mir frei Fragen zu beantworten.

Liebe Janine, der Rückseitentext Deines Romans DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES hat die Überschrift „Was bedeutet es, füreinander da zu sein. Aber muss Deine Hauptfigur Anne vielleicht viel mehr lernen, für sich selbst da zu sein und nicht nur für ihren Job?

Janine Adomeit: „Bei Anne ist es so, dass sie sich absichtlich nicht um sich und ihre Gefühle kümmert. Sie will gar nicht so genau hinsehen, denn sie weiß, dass in der Tiefe jede Menge Schmerz sitzt. Und sie glaubt, dass sie den vermeiden kann, wenn sie sich möglichst unemotional gibt, viel arbeitet, keine sozialen Beziehungen eingeht. Das funktioniert eine Weile ganz okay, zu einem immens hohen Preis, aber es funktioniert.

Durch die Wiederbegegnung mit ihrem entfremdeten Bruder Kai bricht dieses Kartenhaus zusammen: Anne versteht, dass Schmerz, also der gemeinsam empfundene Schmerz, auch so etwas wie eine Brücke zueinander sein kann, eine Versöhnung möglich macht. Auch die mit sich selbst. Anne sieht sich in Kai gespiegelt, da sie dieselbe traumatische Vergangenheit als ‚Young Carer‘ teilen, also als junge pflegende Angehörige, und sie kann so die eigenen Gefühle besser verstehen.“

In Deinem Roman spielen eine Konferenz voller unter Dauerstrom stehender Karrieremenschen und eine Herde komplett durchentspannter Schafe entscheidende Rollen. Was hat Dich an diesem Gegensatz gereizt?

Janine Adomeit: „Annes Leben ist auf Erfolg und Effizienz getrimmt, genau wie das ihrer Kolleg:innen im Pharmakonzern. Ich fand es spannend, einen Stein in diese super geölte Maschine reinzuwerfen und zu gucken, was passiert. Rein vom erzählerischen Aspekt her gibt es wenig Interessanteres, als einen Menschen, der immer alles unter Kontrolle zu haben scheint, genau diese Kontrolle verlieren zu lassen.

Die Schafe haben sich da sehr gut geeignet. Denen ist diese ganze Corporate-Welt egal, die legen sich hin und fressen. Sie sind die Anti-Annes. Und sie treiben Anne ganz schön in den Wahnsinn, was sie mit Kai gemeinsam haben: Der ist genauso störrisch, aber eben – im Umgang mit Anne – auch ähnlich sanft wie ein Schaf. Er liebt seine Schwester immer noch sehr, und sie ihn auch. Anne braucht nur eine Weile, um zu begreifen, dass sie dazu in der Lage ist … und dass dann auch nichts Schlimmes passiert.“

Ohne das Ende zu verraten, kann man sagen: Es siegt das Gute – was natürlich ausgesprochen wohltuend ist in unserer kapitalistischen Gegenwart, in der Menschlichkeit oft auf der Strecke bleibt. Verstehst Du Deinen Roman als Trost für alle, die sich im Moment gestresst fühlen?

Janine Adomeit: „An Stress habe ich dabei weniger gedacht, an Trost umso mehr.

Ich schreibe, um mit einem Gegenüber eine Verbindung einzugehen, auch wenn das nicht in Echtzeit passiert und ich die meisten Menschen, die meine Bücher lesen, auch nicht persönlich kennenlerne. Aber ich habe mir für meine Texte immer schon Themenfelder ausgesucht – wie in DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES die Fürsorge, das Sich-umeinander-Kümmern, innerhalb der vieles ungesagt und unsichtbar bleibt, aus Scham oder aus Angst. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich die Rückmeldung bekomme: Durch deinen Text konnte ich etwas in Worte fassen, das mich lange beschäftigt hat. Oder: Ich habe mich in deinen Romanfiguren wiedergefunden.

Gleichzeitig ist es mir selbst ein Trost, über die Dinge zu schreiben, die mich bewegen und die mich vor Fragen stellen, die ich mir selbst (noch) nicht beantworten kann.“

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Ich habe dieses Buch nicht gekauft, sondern das Leseexemplar vom Verlag geschickt bekommen. Bei meinem Interview handelt es sich trotzdem nicht um eine beauftragte oder bezahlte Werbung: Es ist lediglich Fanboy-tum und Begeisterung für diesen Roman.

Janine Adomeit: DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES. Arche Verlag, 2025.